Es ist davon auszugehen, dass die Indus-Kultur - nicht nur wegen der Erfindung der Töpferscheibe -
eigenständig war.
Diese Eigenständigkeit äußert sich vor allem in der völligen Andersartigkeit gegenüber den
Hochkulturen am Nil und in Mesopotamien. Die hervorstechenden Merkmale der ägyptischen Kultur sind
die Tempelbauten, Königsgräber und Pyramiden. In Mesopotamien waren es die großen Tempel und
Königspaläste. Über Wohnstätten des Volkes ist dagegen wenig oder nichts bekannt. In der Indus-Kultur
beeindruckt nun gerade der städtebauliche Charakter.
Die baulichen Strukturen und die religiösen und gesellschaftlichen Situationen der Harappa-Städte
weisen keine Verwandtschaft mit der Lebenseinstellung in den früh-mesopotamischen Stadtstaaten auf.
Am Indus zeichnen sich Phänomene ab, die sich deutlich vom Alltag am Euphrat und erst recht am Nil
unterscheiden: Da ist einmal das dominierende bürgerliche Element, das vornehmlich im Wohnbau zum
Ausdruck kommt. Zudem wurden keine Beweise für allzu aufwendige religiöse Kult-Formen ausgegraben.
Ob im religiösen oder profanen Bereich, in den weiten Landstrichen der Harappa-Kultur fehlt, soweit
bisher festgestellt, das Monumentale, das so charakteristisch ist für Mesopotamien und Ägypten. Man kann die klassische Harappa-Zeit getrost die erste bürgerliche Hochkultur nennen. Nichts deutet bisher auf ausgesprochene imperiale Züge hin, auf Despoten, die sich, wie zu jener Zeit üblich, mit Monumentalbauten verewigen wollten, auf irgendeinen höfischen Luxus oder auf eine Kunst, die jemanden glorifizieren sollte.
In Mohenjo-Daro sind - in einem von mehreren Stadtteilen, vor allem Wohnungen mit 50 - 100 m²
Wohnfläche (etwa die Hälfte), fast ebenso viele mit 100 - 150 m² Wohnfläche und einige wenige
mit 210 - 270 qm Wohnfläche ausgegraben worden, wobei letztere mitten in den Wohnvierteln liegen,
was auf eine starke soziale Integration der Führungsschicht hinweist.
In Mohenjo-Daro lebten zwischen 35.000 und 80.000 Menschen, die Vermutungen über die
Gesamtbevölkerung der Indus-Kultur liegen zwischen 2 bis 5 Millionen.
Die Wohnstätten der Indus-Kultur verfügten über ein hoch entwickeltes Wasserversorgungs- und
Abwasserentsorgungssystem. Die Wasserversorgung geschah über Brunnen (in Ägypten und Mesopotamien
so gut wie nicht bekannt), die in Mohenjo-Daro nahezu in jedem dritten Haus zu finden waren.
Sogar für die Abwasser gab es ein Kanalisationssystem. Um dieses System betreuen zu können
(Beseitigung von Durchfluss-Störungen usw.) gab es sogar mannshohe Laufgänge, die mit Kraggewölben,
(falsche, sich nicht selbst tragende Gewölbe) abgedeckt waren. Sogar Tonmuffenrohre
(ineinandersteckbare Tonröhren) wurden verwendet. - Wie rückständig erscheint im Vergleich dazu
(4500 Jahre später) die abendländische Welt (bis vor etwa 100 Jahren). - Schließlich gab es in den
Straßen alle 100 oder 200 m Müllbehälter aus gebrannten Ziegeln, in die über Schächte direkt aus
den Häusern entleert werden konnte. - Nirgends am Nil oder am Euphrat haben wir so raffiniert
durchdachte sanitäre Anlagen gefunden, wie hier am Indus. Noch heute, nach 5000 Jahren, würde
ein Großteil der Weltbevölkerung die findigen Leute der Harappa-Kultur um diese Errungenschaften
beneiden.
Baumaterial waren Lehmziegel oder gebrannte Ziegel in den handlichen Maßen von 7 x 14 x 28 cm (die
binäre Reihe war somit bekannt). Dort, wo es nötig war, wurden gebrannte Ziegel verwendet, z.B. für
Brunnen, Bäder, Kanalisation usw..
Grundlage dieses zivilisatorischen Wohlstandes war eine nachweisbare Massenproduktion verschiedenster
Güter, die über See- oder Landwege bis nach Mesopotamien versandt wurden. Damit erklärt sich, dass
z.B. Gewichte der Indus-Kultur in Bahrain am persischen Golf gefunden wurden. Mohenjo-Daro (ebenso
wie andere Städte der Indus-Kultur) war kaum eine "Ackerbürgerstadt", sondern ein Zentrum
der Produktion und sicherlich auch der Verwaltung und Religion, wie immer sie auch ausgesehen haben
mögen. Etwa 80 % der uns bekannten Stadt wäre für einfachste Fuhrwerke nicht zugänglich gewesen, weil
die Gassen zu eng waren; die Häuser weisen nur geringe Anzeichen von landwirtschaftlicher Nutzung
auf. Dagegen sind die Indizien für Bearbeitung importierter Rohmaterialien überhäufig.