AMICAL alpin Nanga Parbat Expedition erfolgreich und unfallfrei beendet!
Was für ein Riesenstein fiel mir gestern, Montag Mittag vom Herzen, als Hajo
über Funk meldete, auch die letzten wären unfallfrei durch die Löw-Eisrinne
abgeseilt und samt restlicher Hochlagerausrüstung zurück in Lager I. Zwei
Tage vorher noch standen wir fast alle auf dem Gipfel eines der schwersten
8000ern. Den mit vielen Höhen und Tiefen gespickten Aufstieg möchte ich Ihnen
im Folgenden gerne schildern.
Nach 11 Tagen schlechten Wetters kündigte Charly Gabl, Leiter der
Wetterdienststelle Innsbruck, ein sich aufbauendes Hoch an. Fast täglich
waren wir über Satellitentelephon in Kontakt - und ihm fällt damit sicher
ein Teil unseres Erfolgs zu. Schon knapp eine Woche vorher kündigte er uns
bestes Gipfelwetter für den vergangenen Freitag an. "Ob das reichen würde?"
war die große Frage, die uns die folgenden Tage bewegte. Denn es hatte jede
Menge geschneit - und dieser Schnee musste sich ausreichend setzen, um uns
keiner Lawinengefahr auszusetzen. Zudem hatte starker Höhenwind jede Menge
Schnee verfrachtet - und der Wind ist bekanntlich der Baumeister der Lawinen.
Also hieß es trotz Sonnenschein Anfang dieser Woche noch im Basislager
abwarten. Am Montagnachmittag stiegen Rosa und Theresia bereits nach Lager
I auf. Ein niedergehender Gewitterregen zeigte zunächst deutlich auf, dass
das Wetter noch nicht allzu stabil war. In der folgenden Nacht stieg der
Rest der Mannschaft nach - direkt ab BC die 1750 steilen Höhenmeter bis
Lager II. Der Neuschnee der letzten Tag machte uns schwer zu schaffen. Die
Fixseile waren tief eingeeist und mussten Meter für Meter mühsam aus dem
Schnee oder Eis herausgerissen werden.
In der Löweisrinne nach Lager II
In der Löweisrinne in der Traverse zur Kinshoferwand
Bei Rosa, eine unserer beiden Spanierinnen, machten gesundheitliche
Beschwerden irgendwann einen weiteren Aufstieg unmöglich. Mit Beschwerden
und aus Rücksichtnahme auf die Gruppe seilte sie schweren Herzens aus der
Mitte der Löw-Eisrinne ab. Wir anderen kämpften uns eine völlig vereiste
Bergung der Zelte in Lager II
Kinshofer-Wand hinauf, es sah aus wie im tiefsten Winter. Oben angekommen
kam der große Schock für alle. Wer erhofft hatte, er könne sich
nach dem anstrengenden Aufstieg in sein Lager-II-Zelt legen und gemütlich
ausruhen sah sich getäuscht. Lager II war einfach verschwunden. Wo vor zehn
Tagen noch sieben Zelte standen war jetzt nur Weiß. Pfannkuchen sozusagen
unterm Schnee.
Vier Stunden gruben wir und beförderten ein zerstörtes Zelt nach dem anderen
zu Tage. Bei allen waren wegen des nassen, über einen Meter hohen
Neuschnees, die Gestänge gebrochen und zum Teil auch wegen der durch die
gebrochenen Gestänge aufgespießten Zeltwände Wasser eingedrungen.
Besonders schlimm hatte es Dieter erwischt. Viele Liter Schmelzwasser
ließen seinen Schlafsack - mehr einem Schwamm vergleichbar - annähernd 20
Kilogramm wiegen. Rosa's trockener Schlafsack war seine Rettung. Irgendwann
waren die meisten Gestänge repariert und Löcher geflickt und erst um 18:00
Uhr hatte ich meinen ersten warmen Tee im Bauch.
Wegen des noch zu wenig abgesetzten Neuschnees veränderten wir am Abend noch
unsere Pläne. Der nächste Tag sollte nicht direkt den lawinengefährlichen
Hang nach Lager III hinaufführen, sondern wir wollten erst mal nur bis zu einem
Depot unterhalb dieses Hangs die Spur neu treten und einiges gewichtiges Material
deponieren. Zudem hatten wir nach einem absoluten Power-Tag auch etwas Ruhe
notwendig.
Der Plan war gut. Der nächste Tag war zwar mit anstrengendem Spuren bis zum
Depot in 6500 m Höhe immer noch hart genug, aber am Nachmittag hatte jeder
zurück in Lager II Zeit vor allem genügend zu trinken und auszuruhen.
Im Depot fast 1m Neuschnee
Noch Höhensturm auf dem Weg zum Depot
In der Kälte zum Depot zwischen LII und LIII
Und der Hang oberhalb des über einen Meter tief eingeschneiten Depots hatte
einen Sonnennachmittag mehr Zeit sich zu setzen! Übrigens hatte sich uns
inzwischen Veikka Gustafsson - wir standen `94 gemeinsam auf dem K2 - angeschlossen.
Sein Partner, der Amerikaner Ed Viestures, war überzeugt die Neuschneemengen
seien nicht zu meistern und zudem wollte er aus familiären Gründen früher
nach Hause. So war ich froh in Veikka einen alten Freund und starken Mitspurer in
unserer Mannschaft zu wissen.
Gut erholt ging es am Donnerstag, dem 28.06. im Eilkletterschritt die Fixseile bis
In der Flanke zu Lager III
zum Depot hinauf. Und wer nun Schwerst-Spurarbeit den 200 m-Hang zu Lager III
hinauf erwartet hatte, war angenehm überrascht.
Hirotaka, unser Japaner, war früher losgezogen als alle Anderen und hatte
alleine mit unglaublicher Kraft den gesamten Hang schon gespurt. Genial. Und
er meinte oben, er hätte Freude daran uns eine Freude zu machen! Und
das hatte er. Die noch fehlenden Zelte waren im sicheren aber exponierten
Grat-Gelände von Lager III bald aufgebaut und so konnten wir wieder einen
warmen Nachmittag an der Höhenluft in 6750 m verbringen. Kochen,
Schneeschmelzen und Essen war angesagt.
Unterer Teil von Lager III
Für Freitag, den 29.06. hatten wir eine Vorausgruppe gebildet. Um 4:30 Uhr
starteten Hajo, Hiro(-taka), Qudrat, Emrodin und ich zum Spuren Richtung
Lager IV. Trotz des tiefen Schnees kamen wir mit abwechselndem Spuren gut
voran. Einige alte Fixseile, die wir aus dem meter tiefen Schnee zogen,
halfen uns den Riesenhang zu traversieren. Meter um Meter ging es voran und
bis uns die anderen eingeholt hatten, waren wir schon am oberen Rand der
legendären Bazin-Mulde angekommen.
Im Aufstieg zu Lager IV - Blick zurück nach LagerIII
Ralf nach Lager IV
In weiteren eineinhalb Stunden Spurarbeit waren wir an einer günstigen, weniger steilen
Im Lager IV - noch über 1000 Hoehenmeter
Stelle in den Hängen der Bazin-Mulde auf 7100 m angekommen.
Froh die schweren Rucksäcke nicht weiter schleppen zu müssen, bauten wir
Lager IV auf. Es waren zwar immer noch über 1000 Höhenmeter für den morgigen
Gipfeltag übrig, aber der Schnee war hier oben an einigen Stellen sehr gut
windgepresst und wir waren voller Optimismus für den nächsten Tag.
Um 00:00 Uhr pfiff der Wecker, - bis 1:30 Uhr hatte jeder Zeit sich in der Kälte
der Nacht fertig zu machen und zu "frühstücken" (2 Bissen gehen schon rein,
ohne dass der Magen in dieser Höhe rebelliert). Gemeinsam spurten wir uns
quer durch die Bazin-Mulde, jeder immer 10 - 30 Meter, so viel jeder einfach
schaffte ohne mit den Steigeisen auf die Zunge zu treten. Wir kamen gut
voran und hatten mit dem Hellwerden bereits die Querung des Gipfeltrapezes
erreicht. Charly Gabl sollte recht behalten. Der beste Tag war zwar der
Freitag gewesen, aber der Samstag sollte auch noch gut brauchbar sein. Und
das war er. Ein wunderschöner Sonnenaufgang zeigte im Westen den Schatten
der gesamte Größe "unseres" Berges.
Querung des Gipfeltrapez des Nanga Parbat um 4 Uhr
Sonnenaufgang mit Schatten des Nanga Parbat
Im rechten Teil des Gipfeltrapez des Nanga Parbat
Die Orientierung innerhalb des Gipfeltrapezes war nicht einfach, aber
irgendwie - mit der Hilfe des Fotos eines spanischen Kletterfreundes -
schafften wir es die richtige Rinne in Richtung Hauptgipfel zu treffen. Ca.
45 - 50° steil zog diese unendlich lange nach oben. Welch ein Glück,
dass die Höhenstürme von vor zwei Tagen ihre Schnee-presserische Arbeit
geleistet hatten. Wären wir auf die gleichen Mengen an Tiefschnee wie im
unteren Teil getroffen, hätten wir hier oben in 8000 m Höhe keine Chance
gehabt.
In der Gipfeleisrinne des Nanga Parbat
Ralf - noch 150m bis Gipfel Nanga Parbat
Klaus-Dieter Grohs kurz vorm Gipfel
Hirotaka Takeuchi
Zudem kam sicher der ganzen Mannschaft auch die unglaubliche
Leitungsfähigkeit von Hiro zu gute. Ein weiteres Mal überraschte er mit
seiner Leistungsbereitschaft und spurte den oberen Teil der Gipfelrinne fast
gänzlich alleine.
Irgendwann war es geschafft und die ersten erreichten gegen 9:00 Uhr
überglücklich den Gipfel. Wir blieben zum Teil bis zu drei Stunden am Gipfel
und genossen bei leichtem Wind ein fantastisches Panorama auf den Hindukusch
und das gesamte Karakorum. Beeindruckend für mich vor allem die 6-7000 m
Tiefblicke in Richtung Indus- und Astor-Tal.
Am beeindruckendsten dann aber sicher die schnelle Ankunft von Theresia Koch!
Gerade 50 geworden (sorry, sollte man eigentlich nicht sagen!), hatte sie
sich mit viel Begeisterung, Motivation und hervorragender Vorbereitung als
erste deutsche Frau nach oben gekämpft. Gratulation von uns allen, und ein
Riesenrespekt!!!
Kurz darauf kam Eva Zarzuelo. Auch sie überglücklich es geschafft zu haben
und damit auch die erste Spanierin am Gipfel zu sein.
Theresia Koch - erste Deutsche auf dem Nanga Parbat
Theresia Koch und Eva Zarzuelo erste Deutsche und erste Spanierin auf dem Nanga Parbat
vlnr: Ralf, Eva Zarzuelo und Hajo Netzer Gipfel Nanga Parbat
Kurz nach 12:00 Uhr verabschiedete ich mich vom Gipfel, vom Ziel eines
langjährigen Traums. Etwa 150 Höhenmeter unterhalb des Gipfels traf ich auf
unsere beiden "Doktores" und Veikka, die gewartet hatten, da Werner wegen
akuter Höhenprobleme nicht weiter konnte. Mit Werner stieg ich gemeinsam ab,
Magnus kämpfte sich noch weiter zum Gipfel.
Irgendwann am späten Nachmittag waren nach einem anstrengenden Abstieg
wieder alle gemeinsam in Lager IV vereint. Hajo hatte die letzten vom Gipfel
herunter begleitet und fotografierte sich bei wunderschönem
Spätnachmittagslicht als echter Genießer durch die Bazin-Mulde.
Im Lager lagen wir uns in den Armen. Alle gesund zurück - zwar etwas
angeschlagen, trotzdem überzeugt, dass auch morgen für den 3000 m-Restabstieg
nochmals das Wetter halten würde.
Die Nacht brachte dann noch fast eine kleine Katastrophe: Die parallel am
Berg zu uns agierenden Südtiroler um Bergführer-Kollege Abele Blanc aus dem
Aosta-Tal waren von einem Versuch an der 2000er-Messner-Route wegen technischer
Probleme auf unsere Route umgeschwenkt. In einem Eilaufstieg in unserer Spur und
an unseren Fixseilen waren sie am Nachmittag nach uns auf dem Gipfel. Während des
nächtlichen Abstiegs hatten sie sich verloren und als Christian und Abele zu
uns im Lager IV einwankten und in unseren Zelten Unterschlupf fanden, war
Stefan Andre aus dem Etschtal nicht mehr mit dabei. Nachts zu suchen war
aussichtlos, zumal keiner so recht wusste wo Stefan "verloren gegangen war".
Auf jeden Fall stellte sich am nächsten Morgen - nicht ohne große
Betroffenheit aller - heraus, dass Stefan im Abstieg biwakiert hatte und
damit auch diese Begebenheit einen guten Ausgang hatte.
Der nächste Tag, Sonntag der 01.07., sah uns 3000 m zu Tale absteigen und
abseilen. Bei strömendem Regen liefen wir nachts um 23:00 Uhr im Basislager
ein. Ein Teil der Mannschaft um Hajo und die Hochträger blieb noch in Lager
II, um am nächsten Morgen mit viel Mühe die restlichen Zelte nach unten zu
befördern. Und hier schließt sich dann der Kreis mit Hajo's Funkspruch aus
Lager I, alle seien gut zurück.
Es war ein großes, gewagtes Unternehmen. Viele Unkenrufe - wie '94 am K2 -
hatten vorausgesagt, dass der Nanga Parbat für eine Professionell Geführte
Expedition ein zu anspruchsvolles und technisch zu schwieriges Unternehmen
sei.Sicher gehört zu jeder Expedition dieser Art eine ordentliche Portion Glück
dazu. Wenn 14 Leute Zehntausende von Höhenmetern abseilen, darf kein
Handgriff schief gehen - und da gehört das notwendige Quentchen Glück dazu.
Ich denke aber, dass wir inzwischen auch so viel Erfahrung sammeln durften,
dass uns zum einen von zahlreicher kompetenter Teilnehmerseite eine solch
schwierige Expedition zugetraut wird und wir damit auch eine sehr seriöse
Teilnehmerauswahl treffen können - der Dreh- und Angelpunkt einer solch
anspruchsvollen Unternehmung. Ein "Sich-auf's-Glück-Verlassen" rückt damit
in den Hintergrund.
Bergführer-Kollegen wie Hajo Netzer, die Berufskollege, Anders-Denkender und
Freund gleichzeitig sind, mit Sprachtalent und Integrationsvermögen zu
ungeahnten Möglichkeiten des Paarlaufs bei der Leitung einer Expedition
führen, sind sicher weiterer Beitrag zur Erweiterung der Möglichkeiten bei
geführten Expeditionen. Sich immer wieder kritisch mit gegenseitigen
Meinungen auseinanderzusetzen, macht Entscheidungen für die Teilnehmer und
auch für sich als Kollege transparenter und führt damit zu einem stark
erhöhten Maß an Sicherheit. Von der gegenseitigen arbeitsmäßigen
Unterstützung ganz zu schweigen. Mein Dank an dieser Stelle an Hajo, aber
auch an die anderen für AMICAL alpin viel Verantwortung tragenden Profibergführer.
Ich bin überzeugt, dass mit der nötigen Mischung aus außerordentlicher Erfahrung,
Motivation, Begeisterung, Leidenschaft und Leistungsbereitschaft aber auch
Geduld und Durchhaltevermögen weiterhin Unternehmungen dieser Größenordnung möglich sind.
Sicher nicht an den hohen 8000ern. Wir werden weiterhin die Hände davon
lassen. Herausforderungen für Expeditionen unserer Art an den niedrigen
8000ern, an 7- und 6000ern gibt es genug.
Wir werden noch eine Woche unterwegs sein, bis wir uns auf dem Rückflug ab
London wieder in alle Winde auflösen. Es war eine gute Zeit, voll
internationalem Ideenaustausch, guter Gespräche, vieler Witze und schönem
Bergsteigen. Ich würde mich freuen, wenn Sie an unseren Informationen Spaß
hatten und hoffe Ihnen irgendwann von irgendwo wieder berichten zu dürfen.
Bei meinen persönlichen, langjährigen Sponsoren SCHÖFFEL, GORETEX footwear,
CICLO und IBM Schweiz darf ich mich abschließend sehr herzlich bedanken.
Ohne die finanzielle und materielle Unterstützung dieser Firmen hätte ich
NIE den Freiraum, mich neben zahlreichen anderen Aktivitäten zeitlich sehr
aufwendig auch körperlich auf diese Art von Unternehmungen vorbereiten zu
können.