Nach der Entscheidung dem sehr brüchigen Fels des Holtanna Nordpfeilers den Rücken zuzukehren,
konnten wir uns als weiteres Ziel auf den unbestiegenen Hauptgipfel des Holtanna verständigen. Der
Südpfeiler, trotz Südausrichtung mit großer Kälte (siehe auch "Am Rande
bemerkt"), ließ wegen des ständig starken Winds weniger brüchigen und gefährlichen Fels
erwarten und so startete die Gruppe am 23. Dezember eine erste Erkundungstour an den Fuß des 800 m
hohen Pfeilers.
Eine südseitige Kletterei war in der Antarktis noch nie unternommen worden. Da aber mit bester
Ausrüstung und genügend Erfahrung agiert werden konnte, sollte hier trotz der extremeren Umstände eine
Erstbesteigung möglich sein. Auf jeden Fall war der Steinschlaggefahr ein Ende gesetzt, was sich schon
bei den ersten Klettermetern zeigte.
Rauer, kompakter Fels im unteren Teil, weiter oben fantastische Kletterei an windzerfressenem
Tofani-Fels. Riesige, vom Wind heraus erodierte Löcher sollten auch in den steileren Passagen für
akzeptable Absicherungsmöglichkeiten sorgen.
Wir teilten uns zunächst in drei isoliert agierende Gruppen: Daniel Mercier und ich sollten den unteren
Teil des Pfeilers erstbegehen, während Alain Hubert und André Georges, schon an den oberen zwei
Dritteln begannen, die über ein Band in der Ostwand des Holtanna erreicht werden konnten.
An die einstmals, für den Wind geschützten Nordpfeiler vorgesehene Taktik, ständig in der Wand in
Hängebiwaks zu übernachten, war hier in der noch extremeren Kälte des Windes vom Pol her nicht zu
denken. Die katabatischen Winde würden die nur in der nächtlichen, sehr tiefstehenden Sonne mögliche
Kletterei schon anspruchsvoll genug machen. Wir wollten so weit wie möglich nach oben Fixseile
anbringen, um jede Nacht abseilen zu können. Erst zum Schluss - dies wird nach dem heutigen Ruhetag in
den nächsten beiden Tagen der Fall sein -, werden wir in nach oben gebrachten Portaledges übernachten,
um dann direkt zum Gipfel durchzuklettern.
Ein Problem, das uns der unablässige Pol-Wind und der scharfkantige Fels bereiten, ist die starke
Abnutzung der Fixseile. Teilweise sind die Seilmäntel der 10.5 mm-Seile nach einem Tag schon so
beschädigt, dass wir die Seile wieder auswechseln müssen.
Trotzdem sind wir bisher, trotz sehr wechselhaftem Wetter, gut vorangekommen. Daniel und ich haben im
unteren Teil zunächst einige anspruchsvolle, kaum absicherbare Platten-"schleicher" hinter uns gebracht.
Vor allem die Psyche war in diesen doch sehr heiklen Längen gefragt. Ich erinnere mich besonders gut an
eine etwas steilere, überhängende Stelle: Acht Meter über der letzten Zwischensicherung sah ich wie die
wieder mal völlig tauben Finger langsam vom Griff abrutschten - und konnte nichts dagegen machen, da
sie zu steif gefroren waren. Ein Abflug hätte in ein paar kleinen, messerscharfen senkrecht nach oben
stehenden Pfeilern geendet. Irgendwie hat aber die Reibung meiner Goretex-Hose gehalten, als ich ein
Knie unter den Überhang geklemmt habe. Angst pur.
Ich war froh, als ich nach weiteren sechs Metern endlich eine Zwischensicherung anbringen konnte.
Trotz der Kälte, dem Schnee und dem Wind hat die Kletterei an unglaublichen Felsformationen doch Spaß
gemacht. Der Ausstieg zum Beispiel auf das Band nach fünf Seillängen führte durch eine Art
Wind ausgefrästen Tunnel im Fels. So was werde ich sicher in meinem Leben nicht mehr sehen und
fotografieren können.
Ein echter Schlechtwettertag hat uns mit der Zeitplanung etwas ins Schleudern gebracht. Aber auch
dieser Tag hatte seinen Sinn. Stimmungen einfangen, die die Ausgesetztheit in dieser großartigen
Landschaft nur noch mehr verdeutlichen.
Auch Alain und André sind gut vorangekommen. Zwar war der Fels nicht ganz so fest und plattig, dafür
war es da und dort möglich einen Normalhaken zu schlagen oder andere gute Sicherungspunkte
unterzubringen. Spektakuläre Ausgesetztheit ist auf jeden Fall überall garantiert und die Aussicht
in die weltgrößte Gefriertruhe haut einen fast um.
Wegen der wieder etwas angestiegenen Brüchigkeit war die Kletterei doch aber teilweise auch wieder
heikler und wir waren froh, daß André mit seiner unglaublichen Kletterroutine und Coolness die
gefährlichsten Passagen vorstieg. Der Wind zerfressene Tofani-Fels ist zwar herrlich zum Anschauen, aber
nicht immer fest.
Bei aller Kletterbegeisterung waren wir morgens um 1:00 Uhr oder 2:00 Uhr, gestern André und Alain auch
erst um 5:00 Uhr, doch immer froh wieder abseilen und die Nacht im Basislager verbringen zu können. Der
eiskalte Wind zehrt unglaublich aus und braucht viel, viel Kraft. Mehr als die ganze Kletterei zusammen.
Morgen, wenn es dann endgültig zum Gipfel gehen soll, hoffen wir auf einigermaßen stabiles Wetter.
Sollte alles gut verlaufen, müssten wir zum 1. Januar 2001 hoffentlich auf dem Gipfel stehen.
Ich möchte von hier aus allen Freunden und Bekannten einen guten Start ins
Neue Jahr und beständige Gesundheit wünschen.
Herzliche Grüße aus Queen Maud Land
Ralf Dujmovits
AMICAL alpin