Holtanna Nordgipfel vom gesamten Kletterteam erreicht
Das Basislager war komplett mit Küchen- und Kommunikationszelt und Toiletten- und
"Kühlschrank"-Iglu ausgebaut und sturmsicher, endlich konnten wir ans Klettern denken.
In der Toilette und Kühlschrank - René
Ralf am Thinkpad beim Arbeiten
Der erste Klettertag begann mit einer ordentlichen Überraschung. André Georges, Schweizer
Bergführerkollege mit Ausnahmeleistungsfähigkeit, war in aller Frühe noch bei Eiseskälte
aufgebrochen. Die ständige Helligkeit hätte ihn nicht mehr schlafen lassen. Deshalb hätte er raus
müssen. 200 Meter Fixseil vom Bergschrund über 50 - 60° steiles kombiniertes
Gelände mit zum Teil heikler Eisauflage hatte er bereits fixiert bis wir nur zu den Zelten
herausgekrochen waren. Noch im Schatten des Riesenpfeilers bei -20° C alleine zu
arbeiten hatte ihm einfach Spaß bereitet.
Und bewies dabei eindrucksvoll seine Ausnahmestellung im
kombinierten Gelände. Durchs Fernglas beobachtet.
Den Rest des Tages haben wir gemeinsam gearbeitet. Sowohl beim Lastentransport als auch beim
Bohrhaken anbringen (siehe "Am Rande bemerkt") haben wir uns prima verstanden und ergänzt.
Jede Menge Kletterausrüstung, so an die 200 kg, haben wir zum Einstieg geschleppt. Erst mit den
Schlitten zu einem Depotplatz unterhalb der Wand, dann im wechselseitigen Auf- und Ab zum Bergschrund
und von dort entlang der Fixseile zum Einstieg. Die Aussicht vom Einstieg über unseren Lagerplatz und
die Felsspitzen der umliegenden Gipfel in Richtung des großen weißen Polarplateaus ist alleine
die lange Reise wert. Vor allem gegen Abend, wenn sich der Himmel etwas einfärbt und einzelne
Wolken ihre Schatten auf die unendliche Eiswüste werfen, ist es unbeschreiblich schön.
Aussicht vom Einstieg
Und wir hatten zudem noch Glück mit dem Wetter - der erste Tag war fast windstill und
Sonne pur.
Trotzdem war mir nicht entgangen, dass der Fels doch von ziemlich bescheidener Qualität war. Und am
Einstieg, wo es sofort senkrecht bis überhängend wird, ist es erst richtig bröselig. Und diese
Brösel sind zum Teil Kühlschrank-groß. Und hängen direkt über unseren Köpfen. Mit einem etwas
mulmigen Gefühl legte ich mich abends in den Schlafsack.
Der nächste Klettertag brachte eine erste
Zwischenentscheidung. André, Daniel und ich waren in aller Frühe zum Einstieg gestiegen und hatten
uns fertig gemacht zum Klettern. Daniel führte die erste Seillänge. Was immer er aber im senkrechten
Gelände anfasste, um es als Griff oder Tritt zu benutzen, brach ab und donnerte als Geschoss in die
Tiefe. In Richtung unseres nachsteigenden Kameramanns, den wir ziemlich schnell wieder nach unten
schickten. Leider waren es nicht nur die kleineren oberflächlichen Griffe und Tritte, die abbrachen,
sondern auch größeren Schuppen und die oben bereits erwähnten Kühlschränke.
René nannte sie auch liebevoll "Congélateur familial", um die Größe mit
"Familiengefriertruhe" auf den Punkt zu bringen. Nach einigem Angstschweiß und mit
ziemlich vollen Hosen stiegen wir ab Richtung Basislager. Beratung und Krisensitzung war angesagt.
Mit den Nachziehsäcken, den Tonnen fürs Wasser und der nicht zu unterschätzenden Gruppengröße war
die projektierte Route einfach zu gefährlich. Die Nachziehsäcke würden mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit die absturzbereiten Riesenschuppen und Kühlschränke in die Tiefe befördern. Und
einen Unfall hier abseits von jeglicher Zivilisation konnten wir uns auf keinen Fall leisten.
Also zogen wir am Nachmittag aus, um uns nach einer Alternativroute am Holtanna-Pfeiler
umzusehen. Ohne uns aber recht sicher zu sein, beschlossen wir abends erst mal über die Route der
Erstbesteiger, einmal begangen 1994 von Norwegern, auf den Nordgipfel zu steigen, um andere
Möglichkeiten auch von oben beurteilen zu können. Unsere persönliche Kletterausrüstung sowie einiges
Sicherungsmaterial war gestern schnell vom Einstieg zurückgeholt und mittags gegen 12:30 Uhr brachen wir in
Richtung Rückseite des Holtanna auf. Es war eine eindrucksvolle Strecke unter der mauerglatten, fast
900 m hohen Westwand hindurch.
Die Holtanna Westwand
Um den eiskalten Schatten zu durchschreiten brauchten wir alleine eine dreiviertel
Stunde. Leider bewölkte es sich zusehends und wie wir im Sattel zwischen Holtanna Süd- und Nordgipfel
angekommen waren, begann es sich fast völlig zuzuwölken und leichter Schneefall setzte ein.
Im Aufstieg zum Sattel zwischen Holtanna Süd- und Nordgipfel
Im Sattel zwischen Holtanna Süd- und Nordgipfel
Nicht gerade lustige Voraussetzungen zum Klettern in der Antarktis. Trotzdem kamen wir
recht hurtig voran, die Kletterschwierigkeiten gingen kaum über den IV. Schwierigkeitsgrad hinaus.
Es blieb vom Ende des bis ca. 60° steilen Einstiegscouloirs nur etwa 300 Meter
Felskletterstrecke. Die ca. - 15° C Kälte sorgten für flottes Klettern.
Fabrizzio im Aufstieg zum Nordgipfel
Im Aufstieg zum Gipfel
Und so standen wir gegen 20:15 Uhr zu fünft auf dem Gipfel, bei leichtem Schneefall und
leichtem Wind. Trotzdem war die Sicht zwischen Wolkendecke und Eiskappe überwältigend.
Für André und Alain hatten wir die komplette Biwakausrüstung mitgebracht. Sie wollten
am Gipfel übernachten und am nächsten Tag ein Stück von oben in die neu projektierte Route abseilen, um
beurteilen zu können, ob die Route für unsere Erfordernisse sicher genug sein würde. Bei immer
schlechter werdendem Wetter verabschiedeten sich Daniel, Fabrizzio und ich von den beiden und seilten
uns vorsichtig ab.
Fabrizzio beim Abseilen vom Gipfel
Um 0:30 Uhr waren wir ziemlich müde zurück im Basislager. Der heutige Tag brachte wieder
eine (weniger glückliche) Überraschung. Bei sehr wechselhaftem, bewölktem Wetter seilten Alain und
André vom Gipfel ca. 80 m in den im oberen Teil überhängenden Riesenpfeiler. Leider brach beim
Standplatz einbohren zum weiteren Abseilen der Handbohrer ab. Da auch das Wetter immer schlechter
wurde, stiegen die beiden entlang der Abseilroute wieder zum Gipfel und sind momentan bei ziemlich
bescheidenem Wetter im Abstieg. Auf der Aufstiegsroute von gestern.
Wir werden heute Abend, wenn beide zurück sind, erst mal beraten, was weiter zu tun
sein wird. Wir hatten alle keinen bombenfesten Fels erwartet. Aber das was wir bisher zum Klettern
angetroffen haben, hat unseren Enthusiasmus doch ordentlich gebremst. Rückschläge gehören zu solchen,
noch echten Expeditionen in unbekanntes Gelände dazu. Die Sicherheit steht dabei trotz aller
Begeisterung an erster Stelle. Wir werden die Risiken auf jeden Fall in überschaubaren Grenzen halten.
Ich wünsche allen Interessenten an unserer Expedition frohe Weihnachten und ein paar
schöne Feiertage. Sobald es berichtenswerte Neuigkeiten gibt, auf jeden Fall vor Silvester, werde
ich mich wieder melden.
Ralf Dujmovits AMICAL alpin
Am Rande bemerkt Die Geschichte vom Bohrer
Von Anfang an war im Team klar, dass das beim künstlichen Klettern
inzwischen leider übliche Löcherbohren auch zur Fortbewegung, auf keinen
Fall für unsere Expedition in Frage kommen sollte. Trotzdem wollten wir die
Standplätze, also die Punkte zur Sicherung des Vor- bzw. Nachsteigenden und
zum Aufhängen der Portaledges zum Übernachten, und auch die Befestigung der
Fixseile mit Bohrhaken versehen. Diese haben eine wesentlich höhere und
zuverlässigere Haltekraft als herkömmlich geschlagene Haken. Zum Zwecke des
Bohrens haben wir eine Bohrmaschine neuester Bauart mitgebracht.
Am Nachmittag des ersten Klettertags waren nun André und ich mit der
Bohrmaschine, jeder Menge Bohrhaken, Schraubenschlüsseln und sonstigem Gerät
losgezogen. Wir wollten an den unteren 200 m Fixseil im weniger steilen
kombinierten Gelände bis zum Einstieg die herkömmlichen Sicherungsmittel wie
Haken, Klemmkeile und Friends gegen Bohrhaken austauschen. Am ersten
Sicherungspunkt, 100 m über dem Bergschrund, setzte ich das erste
Mal die Bohrmaschine an. Der Bohrer drang fünf Millimeter in den Granit ein,
dann war der Akku am Ende.
Dies hieß für André und mich vier Stunden lang im
Durchmesser 10 mm messende Bohrlöcher von Hand mit dem Bohrmeisel in den
Granit zu schlagen. André ist im zweiten Beruf Zimmermann - ihm fiel das
Arbeiten mit dem großen Kletterhammer nicht ganz so schwer. Ich für meinen
Teil hatte am folgenden Tag noch schmerzende Handgelenke. Aber die Route
war sowohl für den Aufstieg - etwas weiter links, als auch für die
Abseilpiste - etwas weiter rechts, perfekt abgesichert.
Im Basislager wurde sämtliches elektrische Gerät von den Solarpaneelen
abgehängt um die beiden Bohrmaschinen-Akkus für die folgenden Tage nun
wirklich vollständig zu laden.
Gestern nun am Aufstieg zum Gipfel des Holtanna hatten wir die Bohrmaschine
wieder dabei. Dieses Mal schaffte der erste Akku genau ein Bohrloch - dann
war Ebbe im nagelneuen Akku. Vielleicht war er zu kalt - es hatte auf knapp
über 2500 m ca. -15° C beim Klettern.Wir ließen den Akku am Einstieg
zurück.
Mit dem zweiten Akku arbeitete die Bohrmaschine einwandfrei. Damit dem Akku
nicht zu kalt würde, trug Alain ihn unter der Jacke. Irgendwann aber bei
einer etwas umfangreicheren Kletterbewegung gab die Jacke dem Akku seinen
Weg in die Freiheit - und der nutzte die Gelegenheit und fiel 300 Meter in
die Tiefe. Aus der Traum vom elektrischen Bohrlöcher bohren. Wieder war
Handarbeit angesagt - die uns trotzdem sicher bis zum Gipfel und auch
wieder herunter brachte.