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5O Jahre Kangchendzönga-Erstbesteigung

Im Reich des eisigen Riesen

Mit der freundlichen Genehmigung von Andreas Dick

Am 25. Mai 1955 empfing der "Kantsch" die ersten Bergsteiger auf seinem Gipfel. Die Besteigunqsqeschichte des indisch-nepalischen Grenzberges, an der auch deutsche Bergsteiger beteiligt waren, erzählt von Respekt und Ehrgeiz, von Leidenschaft und Energie.

Einen Eisschleier, der das Totenreich verhüllt; das sollen die frühen Ein­wohner von Sikkim im Kang­chendzönga gesehen haben. Welch gruslig-schöne Meta­pher für einen Berg - und wie passend für dieses riesige Massiv, für den dritthöchsten Gipfel der Erde und einen der wohl schwierigsten und gefährlichsten Achttausender.

Erstbesteigung

"In den Alpen hat mich die Größe der Berge nie beeindruckt. Nun schaute ich auf eine gigantische unirdische Form, kochend in einer papierdünnen Wolkendecke." Hin und weg war der 24-jäh­rige Joe Brown, damals einer der besten Kletterer Englands, als er vor fünfzig Jahren zum ersten Mal den Gipfel sah, den er wenige Wochen später erstbesteigen sollte. Die Expedition unter Schirmherrschaft seiner Königlichen Hoheit, des Herzogs von Edinburgh, finanziert vom Alpine Club und der Royal Geographic Society, hatte eine historische Aufgabe zu erfüllen. Seit der er­sten Beschreibung durch den britischen Botaniker Joseph Hooker 1848/49 waren die "Fünf Schatzkammern des ewigen Schnees" - so die heu­te gängige Übersetzung des tibetischen Namens - von vielen namhaften Alpinisten erkundet worden. Douglas Freshfield umrundete 1899 den Gipfel und erkannte eine Aufstiegsmöglichkeit in der Yalung-Flanke, wo die Erst­besteigung später tatsächlich gelingen sollte. Der Satanist Aleister Crowley berannte den Gipfel 1905, wobei vier Männer in einer Lawine star­ben. Der Deutsche Paul Bau­er und der Schweizer Günter Dyrenfurth starteten 1929, 1930 und 1931 Versuche am Nordostsporn und in der Nordwestwand. Auch hier waren Tote zu beklagen und im besten Jahr erreichte man 7400 Meter am NO-Sporn.

Der britische Chirurg Charles Evans, stellvertretender Leiter der 1953er Everest­ Expedition und 1955 Leiter am Kantsch, würdigte den Erfolg seines Teams als Ergebnis der Information durch die Vorgänger und verbesser­ter Ausrüstung. Doch natürlich profitierte er auch von einem engagierten Team und von motivierten Protagonisten wie Joe Brown, der zwar nicht viel Geld hatte, aber ausgezeichnet klettern konnte und bestens akklimatisiert war. Noch in Camp IV bat er das Basecamp per Funk um Steaks, und er räsonierte: "Weil ich gedacht hatte, Rauchen würde in dieser Höhe unmöglich sein, hatte ich nur fünf Zigaretten mitgebracht. Aber so lange ich still saß, konnte ich das Rauchen genießen wie immer und wünschte, ich hätte ein ganzes Päckchen mitgebracht." Mit dieser Energie marschierte Brown zum Gipfel und ließ sich auch von einem überhän­genden Riss nicht schrecken: "Ich drosch einen Haken hin­ein und zerrte mich über den Wulst." Am Ausstieg des Risses standen er und George Band nur wenige Meter vor der höchsten Kuppe, die sie aus Respekt vor den religiö­sen Gefühlen der Einheimischen nicht betraten.

Auch die nächsten Besteiger verschonten den Sitz der Berggötter; eine ehrerbietige Einstellung, die heute leider nicht mehr Allgemeingut ist. Gut 180 Besteigungen verzeichnet die Statistik bis heu­te - nur Annapurna und Lhotse werden noch seltener erreicht. Die berühmtesten Namen finden sich in der Liste der Männer und der einen Frau (Ginette Harrison, GB), die den 8598 Meter hohen Gipfel oder einen seiner drei Nebengipfel erreichten.

Wände und Grate

1979 gelang Doug Scott, Joe Tasker und Peter Boardman, zunächst gemeinsam mit Georges Bettembourg, die dritte Besteigung und die Erst­durchsteigung der Nordwestwand; die erste Neutour an einem großen Achttausender im Kleinteam und ohne Flaschensauerstoff. Schwierigkeiten wie am Nordpfeiler der Droites; ein zehnstündiger Rückzug über 3000 Höhenmeter, nachdem 150km/h­Stürme ihnen auf 7400 Metern das Zelt weggeblasen hatten; ein Alpinstil-Aufstieg mit Biwak zum Gipfel: Nach Messners und Habelers dopingfreier Everestbesteigung definierten die Briten damit den damaligen state of the art des Himalayabergsteigens. 1980 stand Georg Ritter als erster (und bisher anscheinend einziger) Deutscher auf dem Hauptgipfel, 1983 gelang Pierre Beghin (F) die erste Solobegehung, 1986 den Polen Jerzy Kukuczka und Krzysztof Wielicki die erste Winterbes­teigung. Eine organisatorische und bergsteigerische Großtat vollbrachte ein 49-köpfiges russisches Team 1989: In zwei Fünfer-Teams überschritten sie alle vier Gipfel des Riesenmassivs in beiden Richtungen und eröffneten neue schwere Routen an Haupt- und Südgipfel - unter Zuhilfenahme von künstlichem Sauerstoff. 1991 setzten die Slowenen Marko Prezelj und Andrej Stremfelj einen Alltime-Himalaya-Markstein mit der Erstbegehung des Südgrats zum Südgipfel; mit vier Biwaks kletterten sie im Alpinstil Schwierigkeiten bis VI, A2, 90°-Eis im unteren und bis V und gut 60° im oberen Teil. Die jüngste Erstbegehung gab es 2003: Die Italiener Christian Kuntner, Silvio Mondinelli, Mario Merelli und der Spanier Carlos Pauner stiegen von Camp drei (7600 m) des Normalwegs durch Eis bis 65° und Fels bis V (auf 8400 m) in einem Tag die tausend Meter zum Gipfel und zurück: "La luce del Nirvana" zeigt, was die Entwicklung von Wissen, Können und Ausrüstung fünfzig Jahre nach der Erstbesteigung erlaubt.

Dramen am Kantsch

Doch der Kantsch ist auch reich an Dramen. 1991 stirbt die Polin Marija Frantar kurz vor dem Gipfel, ein Jahr später bleibt Wanda Rutkiewicz im Sturm verschollen. Und 1995 verlieren sich die Spuren von Benoit Chamoux und seinem Kameramann Pierre Royer im Gipfelbereich; Chamoux wetteiferte mit dem Schweizer Erhard Loretan um Platz drei unter den Bergstei­gern, die alle 14 Achttausender bestiegen hatten (obwohl er an Shisha Pangma und Cho Oyu nicht die höchsten Punkte erreicht hatte). Ehrgeiz ist immer ein schlechter Ratgeber beim Bergsteigen, erst recht an einem Gipfel, an dem auf rund 180 Besteigungen knapp 40 Tote kommen.

Franzosen vor Engländern

Zehn Tage vor den Briten am Kantsch erreichte eine franzö­sische Equipe ihr Achttausenderziel, den Makalu (8463 m). Am 15., 16. und 17. Mai 1955 standen Jean Couzy, Lionel Terray, Jean Franco, Guido Magnone, J. Bouvier, Serge Coupe, P Leroux und A. Via­latte sowie der Sherpa Gyaltsen Norbu auf dem fünfthöch­sten Gipfel der Erde; eine beeindruckende Mannschafts­leistung. Immerhin brachten die Briten auch noch ein zweites Team auf den Kantsch: Am Tag nach Brown Lind Band fanden Tony Streather und Norman Hardie eine leich­tere Variante am Gipfelauf­schwung, die heute allgemein begangen wird.

Andreas Dick


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Alle Bilder © AMICAL alpin

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