Um halb sechs Uhr morgens ist die Welt bereits taghell. Um sechs Uhr
bescheint die Sonne die ersten Gipfel, die den Yalung-Gletscher umgeben. Wer
um diese Uhrzeit unter den Wachenden weilt, bleibt noch lange mit dem
Schlafsack zusammengerottet liegen und achtet darauf, dass nur minimal viel
nackte Haut mit Luft in Berührung kommt. Glücklich sind jene, die sich von
den ersten Sonnenstrahlen wenige Minuten vor oder nach sieben Uhr - je nach
Lage des Zeltes - wach küssen lassen. Was bis zum Aufstehen um acht Uhr
stattfindet bleibt das Geheimnis jedes einzelnen Separees und der darin
befindlichen Personen. Mein Morgenritual - so viel sei verraten - besteht
aus Meditations- und Atemübungen, um mich fit für den Tag zu machen, und
einem ausgiebigen Hygienezeremonial.
Wach- und Weckgetränke
Um halb acht Uhr nähern sich die heißersehnten Schritte von Dabarita Sherpa,
die sich anfangs zielgerade auf das Zelt von Gerlinde und Ralf zu bewegen.
"Good morning, didi! Good morning, dai!" (didi für Schwester, dai für
Bruder) klingt dann über das Zeltdorf. Erfreute Reißverschlüsse, "how did
you sleep?", und dann beglückt Daba mit dem molligen, würzenden, wärmenden
Morning Tea die Runde in der immer selben Reihenfolge.
Um acht oder nach acht - mit fortschreitendem Aufenthalt hier scheint die
Zeit des tatsächlichen Aufstehens immer später zu werden - trifft man sich
unter vielstimmigem "good morning" im Gemeinschaftszelt zum Frühstück.
Kaffee wird in diversen Variationen aufgetischt - löslich, als italienischer
Espresso und zwei weitere Kannen "Presskaffee". Dazu meist ein Gericht, in
dem Eier die vorherrschende Zutaten darstellen - und denen mein Gaumen oder
Magen leider bereits abgeschworen hat.
Abwechslungsreiches Schaffen
Der Vormittag wird in großer Genüsslichkeit verbracht. Es formieren sich
Grüppchen, die etwas zu beplaudern haben - Geschichten vergangener
Expeditionen sind - verblüffenderweise? - ein äußerst beliebtes Thema.
Reparaturen an den einzelnen "Bauwerken" werden vorgenommen - hier ein Seil
nachgespannt, da ein Loch im Boden mit dem immer spärlicher werdenden Schnee
wieder aufgefüllt und plattgepresst. Schlafsäcke werden großzügig den
feuchtigkeitssaugenden Sonnenstrahlen anvertraut. Die Zacken der Steigeisen
werden scharf wie Klingen gefeilt und geschliffen - eine von Hiros
Lieblingsbeschäftigungen. Einzelne Wäschestücke werden gewaschen und in der
Sonne zum Trocknen aufgelegt - erfahrungsgemäß friert die Wäsche wenn man
sie hängt und trocknet, wenn man sie legt.
An die heiß beschienenen Sonnenkollektoren werden diverse technische Geräte
angeschlossen - Laptops, Rasierer, Akkus ...
Aus dem Küchenzelt, wo sich unsere nepalesischen Freunde zum Waschen, Plaudern und Kochen
zusammenfinden, klingt währenddessen viel herzhaftes Gelächter, fröhliche
Stimmen und klangvolle ein- bis mehrstimmige, nepalesische Weisen, die von
Geschirrklappern und Pfeifen untermalt werden.
Die tägliche Herausforderung
Der eine oder die andere fühlt den unwiderruflichen Drang, die
vormittägliche Expedition zum roten Toiletten-Zelt anzutreten, das sich etwa
fünfzehn steile und qualvolle Höhenmeter unterhalb des Hauptcamps in einer
Nische befindet. Die Herausforderung des An- und Abstiegs steigt mit der
Stärke der Sonneneinstrahlung. Der anfangs verschneite Steig, auf dem man
immer wieder in knietiefe Löcher brach, ist nun von steilen Steinstufen und
Balanceakten durchzogen. Die Auswahl und Lokalisierung des Toilettenzelts
selbst ist genial und scheint auf langjähriger Erfahrung zu beruhen.
Wer den Ausflug glimpflich hinter sich gebracht hat landet keuchend und nach
Luft ringend wieder an der Zeltplattform.
Essenssog
Einige Zeit vor der "Lunchtime" verkriechen sich die Campinsassen meist
wieder in ihren Bau und kommen erst wieder zum Vorschein, wenn ein lautes
"Lunchtime!" wie ein Sog über die Plattform hallt und das nächste,
wonnevolle Vorhaben ankündigt.