Annapurna I Besteigung durch Gerlinde Kaltenbrunner, Hirotaka Takeuchi und Ralf Dujmovits am 28. Mai 2004
Annapurna I oberhalb 6000 m
Gerlinde und Ralf auf dem Gipfel der Annapurna I
1. So. 23/05
Nach einem Schlechtwettertag brechen wir vom Basislager (4150 m) unter der
Südwand des Tilicho Peaks zu sechst direkt Richtung Lager II auf. Nicht wie
1991 bei meinem ersten Versuch die Annapurna zu besteigen durch die Reibungsplatten
neben dem großen Eisfall, sondern direkt durch diesen hindurch. Die Platten
mit Fixseilen zu versichern hätte zu lange gebraucht.
Schnelligkeit ist diesmal Trumpf. Für vier Tag haben wir Hochlagerverpflegung
eingepackt und sind uns zunächst sicher damit auch auszukommen. Neben uns
dreien, Gerlinde, Hiro und mir, sind noch Simone Moro (Italien), Denis Urubko
(Kazachstan) und Boris Crusunov (Russland) mit von der Partie. Gerlinde hatte
die drei vor einem Jahr am Nanga Parbat kennengelernt. Für die Annapurna-Besteigung
teilen sie mit uns dreien die Besteigungsgenehmigung und das Basislager.
Vier Tage vor uns waren sie gemeinsam im Basislager angekommen und hatten den
unteren Teil der Route schon bis auf ca. 6000 m erkundet. Hiro hat sich gestern
eine böse Magenverstimmung zugezogen und leidet brutal während des Aufstiegs
durch den Eisfall des nördlichen Annapurna Gletschers. Im Lager I, wo wir schon
um 9:00 Uhr ankommen, beschließen wir für heute Schluss zu machen. Zumal auch
ich - mit dickem Pech ausgestattet - mir einen Stein an meine rechte Wade
katapultiert habe.
Annapurna I oberhalb Lager I
Im Aufstieg durch den ersten Eisbruch
Im Lager I - noch gibt es fließendes Wasser
Während eines langen Nachmittags lassen bei Hiro die Magen- und bei mir die
Wadenschmerzen langsam nach. Boris hat sich uns angeschlossen und bleibt
ebenfalls im Lager I, Simone und Denis steigen Richtung Lager II weiter, - wie sich
später herausstellen wird sehr anstrengend im Neuschnee mit schwerer Spurarbeit.
2. Mo. 24/05
Wieder in aller Frühe um 5:00 Uhr starten wir in den zweiten Eisbruch oberhalb
des großen Gletscherplateaus auf 5000 m. Das Gelände wird steiler und
komplizierter. Wir freuen uns in den flacheren Passagen im tiefen Schnee
die Spuren von Denis und Simone vom Vortag nutzen zu können, danach kommen
vermehrt die beiden Steileisgeräte zum Einsatz.
Im Lager II - Hiro beim Herrichten des Lagerplatzes
Denis und Simone wollten eigentlich nach Lager III weitersteigen, sind
aber heute wegen der antrengenden Spurarbeit des Vortags zur Erholung im
Lager II geblieben. Bei unserer Ankunft in Lager II begrüßen sie uns wie
alte Freunde. Also wieder gemeinsam weiter - denken wir. Mittags beginnt
es stark zu schneien und dauert bis in die Abendstunden an.
Denis und Simone beschließen am nächsten Morgen wieder ins Basislager
abzusteigen, zumal der Wetterbericht auch die nächsten zwei Tage sehr
wechselhaftes Wetter mit einigem Neuschnee voraussagt. Das kommt für uns
nicht in Frage, müssen jedoch einen zusätzlichen Tag investieren, um
die weitere Route durch den nächsten, gefährlichen Gletscherbruch zu erkunden.
Mit nur leichten Rucksäcken ausgestattet, möchten wir versuchen, möglichst
schnell einen Weg durch den Eisbruch zu finden. Inzwischen ist klar, dass das
Essen und auch das Gas knapp werden wird, bzw. wir wesentlich mehr Zeit
benötigen werden als gedacht.
3. Di. 25/05
Um 3.30 Uhr surrt schon der Kocher um Schnee zu schmelzen. Wir möchten
früh starten, zumal wir ja nicht wissen, was uns erwartet. Durch den sehr
spaltenreichen Zustieg zum Eisbruch wechseln wir uns beim Spuren im zum
Teil hüfthohen Schnee regelmäßig ab. Wir versuchen einen möglichst sicheren
Aufstieg zu finden. Die Schneebrettgefahr ist kritisch. Einige der Querungen
können wir deshalb nur mit Seilsicherung passieren.
Gerlinde an einer schwierigen Eispassage im Vorstieg
Tiefschnee-Treten Hangaufwärts
Auf ca. 6600 m geht es nur über einen fast senkrechten 50 m hohen Aufschwung
weiter. Gerlinde fixiert noch diese Seillänge, dann steigen wir zufrieden ins
Lager II ab. Nachmittags beginnt es allerdings wieder erheblich zu schneien.
Die Hoffnung, am kommenden Tag beim Aufstieg mit schweren Rucksäcken von unseren
Spuren des Vortag profitieren zu können schwindet.
4. Mi. 26/05
Unsere Spuren sind leider ziemlich zugeweht und eingeschneit, wieder starten
wir sehr früh. Diesmal ist die Spurarbeit erheblich mühsamer, trotzdem
kommen wir gut voran, - die gute Akklimatisation von Xifeng Peak und Shisha
Pangma ist spürbar. Nach Stunden anstrengenden Spurens und weiterer schwieriger
Routensuche zwischen den Seracs kommen wir endlich zum Bergschrund unterhalb
des riesigen, sichelförmigen Hängegletschers der Franzosenroute. Inzwischen
hat es wieder völlig zugezogen, die Sicht beträgt kaum 10 m. Unter der wenig
schutzbietenden Oberkante des Bergschrundes stellen wir unsere Minizelte auf
ca. 6800 m auf.
Gerlinde auf einem abgeblasenen Teilstück nach Lager III
Hiro beim Aufstieg nach Lager III
Lager III nicht wirklich an sicherer Stelle
Gerlinde versucht noch einen Ausstieg über den überhängende Bergschrund auf
die Rampe zu finden. Als sie diesen gut überwunden hat, kracht es weit oben
aus dem Nichts. Ohne Sicht ist es schwierig zu erkennen, wohin das Eis abbrach.
Gerlinde springt kurzer Hand den Bergschrund wieder hinunter. Die unmittelbare
Gefahr der Hängegletscher wird uns in diesem Moment noch eindrucksvoll bewusst.
Nachdem sich der Nebel gelichtet hat, verbringen wir eine nervenzerrende,
unruhige Nacht.
5. Do. 27/05
Angespannt wie selten zuvor steigen wir über die Rampe unter dem sichelförmigen
Gletscherabbruch auf. Jeder für sich alleine, zum Teil im Blankeis auf der 45°
steilen, abgeblasenen Rampe. Am Ausstieg - nachdem es den ganzen Aufstieg ruhig
geblieben ist - macht sich Erleichterung für den weiteren Anstieg breit. Weitere
150 Höhenmeter spuren wir im knietiefen Schnee, bis wir wieder unter einer
überhängenden Spalte unser Lager einrichten.
Auf der Rampe zum oberen Sichelgletscher
Aufstieg unter den Abbrüchen des Sichelgletschers
Lager IV auf 7200 m
Mit den letzten Verpflegungsreserven und auch dem letzten Gas bereiten wir uns
für den Gipfelaufstieg am nächsten Tag vor.
6. Fr. 28/05
Um 3:00 Uhr piepst der Wecker. Das Frühstück auf 7200 m fällt äußerst spartanisch
aus: die letzten drei Löffel Baby-Brei für Gerlinde und mich und heißes Wasser dazu.
Bis wir aus den zugewehten Zelten heraus sind und die Steigeisen an den Schuhen
haben ist es fast 5:00 Uhr. Triebschneeansammlungen wechseln mit Blankeisstellen
ab, ca. 35 - 40° steil geht es nach oben.
Boris, der uns bisher begleitet hat, will irrtümlich unbedingt der linken Rampe Richtung
Mittelgipfel folgen, Hirotaka, Gerlinde und ich wollen rechts herum zum Hauptgipfel aufsteigen
und steigen deshalb bei einem Felssporn nach rechts weiter. Nur langsam kommen wir voran,
die Anstrengung der letzten Tage, die mangelnde Ernährung und die Müdigkeit
machen sich bemerkbar. Stunde um Stunde spuren wir uns langsam in Richtung Gipfel
hinauf. Eine unendlich lange, aufsteigende Traverse zum Beginn des Gipfelcouloirs
bringt mich fast an den Rand meiner Kräfte.
Entlang des Felssporns in Richtung Mittelgipfel
Gerlinde spurt im Gipfelcouloir
In der Querung zum Gipfelcouloir
Im Gipfelcouloir kommen wir nur noch sehr langsam voran, Gerlinde spurt hier das
meiste. Zwischen zwei großen Wächten erreichen wir zu dritt den Gipfelgrat und
den höchsten Punkt um 15:30 Uhr. Wir liegen uns in den Armen und freuen uns über
die fantastische Ausssicht im Nachmittagslicht. Überschwängliche Freude,
Gipfelaufnahmen, 360° Grat-Fernsicht, großen Respekt vor dem Abstieg und
Erleichterung - alles gleichzeitig. Emotionen, die mit Worten kaum zu beschreiben sind....
Gerlinde und Hirotaka am Gipfel
Ralf und Hirotaka am Gipfel
Zurück im Lager IV
Drei Stunden brauchen wir für den Abstieg. Voll konzentriert bei jedem Schritt um
ja keinen Fehler zu machen. Mit den letzten Sonnenstrahlen am Dhaulagiri gegenüber
erreichen wir die Zelte auf 7200 m. Boris ist vom Ostgipfel (8012 m) schon zurück. Mit
69 Jahren hat er als als vierter Bergsteiger diesen 8000er-Nebengipfel im Alleingang
erreicht. Er wird sicher noch lange der älteste Mensch bleiben, der den Gipfel des
Everest ohne künstlichen Sauerstoff erreicht hat. Die ganze Nacht über bläst der
Sturm, morgens sind die Zelte vom Schnee wieder völlig zugeweht.
7. Sa. 29/05
Bis wir uns am "Morgen danach" aus den Schlafsäcken geschält haben ist es 7:00 Uhr.
Simone und Denis sind bereits aus Lager III in unseren Spuren nach oben gestiegen
und übernehmen unsere Zelte, Schlafsäcke und Matten. Sie wollen am nächsten Tag
einen weiteren Gipfelaufstieg versuchen. Wir steigen zwar müde, aber glücklich
langsam ab. Als wir die Rampe und die Querung unter der sichelförmigen
Seracabbruchkante hinter uns haben und den Platz von Lager III, meinen wir
den gefährlichsten Teil hinter uns zu haben .....
Boris im Abstieg kurz vor Lager III über ihm die Abbruchkante des Sichelgletschers
Die Abbruchkante des Sichelgletschers mit absturzbereiten Seracs
Gerlinde im Abstieg die Rampe hinunter unter der Abbruchkante des Sichelgletschers
Bei eintrübendem Wetter steigen wir im tiefen Schnee durch den oberen Eisbruch
noch bis Lager II ab. Da Boris - eigenwillig wie immer - zurück geblieben
ist, beschließen wir noch eine Nacht in Lager II zu verbringen. Wieder
schneit es den ganzen Nachmittag, zur Stärkung gibt es eigentlich nur noch
heißes Schmelzwasser. Als mit Einbruch der Dunkelheit immer noch kein Boris
aufgetaucht ist, machen wir uns ernstlich Sorgen. Simone und Denis wollen
einen nächtlichen Aufstieg ab Lager IV versuchen, um nach Rückkehr am Morgen
im Abstieg jede Spalte nach Boris absuchen zu können.
Glücklicherweise kommt es nicht so weit. Kurz nach 20:00 Uhr kommt Boris
völlig ahnungslos daher; seine Brille hätte er verloren und sei deshalb
erst mit Eindunkeln weiter abgestiegen. Wir sind riesg froh ihn wieder zu
sehen, werden ihn aber morgen bestimmt nicht mehr unangeseilt absteigen
lassen. Simone und Denis haben trotzdem ihren Nachtaufstieg begonnen.
Denis erreicht auch um 01:20, mitten in der Nacht auf unseren Spuren
den Gipfel. Simone muss umdrehen, sein Magen rebelliert bei der grossen
Kälte und erholt sich erst nach seiner Rün;ckkehr in Lager IV.
8. So. 30/05
Um 05:00 Uhr sind wir auf den Beinen und steigen im dichten Nebel den
mittleren Eisbruch nach Lager I ab. Nur zäh kommen wir voran, zum Teil
sehen wir zwischen den einsturzbereiten Eistürmen nur wenige Meter weit.
Als wir die letzten, zum Teil kaum zwei Fuß breiten Brücken über mehrere
Meter breite Spalten hinter uns haben, wird uns schon etwas leichter.
Nun liegt nur noch der letzte, sehr steile Eisbruch hinunter auf den
nördlichen Annapurna Gletscher vor uns. Das erste Stück kommt mir vor
wie der Abstieg in die Hölle. Neben uns knarren die Eistürme als wir
zwischen den Felsen und dem hochaufgetürmte Eis in die Tiefe steigen.
Auf halber Höhe müssen wir - wie im Aufstieg - nach Lager I in den
Eisbruch ausweichen. Das Aussehen des Abstiegs hat nichts mehr mit dem
Aufstieg vor einer Woche zu tun. Viele Passagen sind in sich
zusammengebrochen, an einer Stelle müssen wir 25 m abseilen um tiefer
zu kommen. Und dann gibt es erst mal kein Weiterkommen mehr. 200 Höhenmeter
der Route sind komplett weggebrochen.
Es bleibt uns nichts anderes übrig als in den zentralen Bereich des
Eisbruchs auszuweichen, - was wir auch machen. Wir laufen um unser
Leben, über Eisblöcke, über Reste von riesigen, gerade eben
zusammengebrochenen Eistürmen. Zwischen den Trümmern habe ich eine
"Rennstrecke" ausgemacht, die uns tatsächlich schnell in die Tiefe
führt. Und dann sind wir außerhalb der Gefahrenzone - wir fallen uns
in die Arme und freuen uns gemeinsam.
Abstieg durch den unteren Eisbruch
Das erste frische Wasser
Zurück ins Leben vlnr Hiro, Boris, Ralf und Gerlinde
Als spät am Nachmittag auch Denis und Simone durch den Eisbruch herabkommen,
bricht unmittelbar nach Ihnen ein gewaltiger freistehender Eisturm in sich
zusammen. Nur rettende Sprünge in nahe gelegene Spalten verhindern Schlimmeres.
Wir vier werden am Rande des Gletschers schon von unserem Koch Sitaram erwartet.
Äpfel, Mandarinen und Kekse hat er mitgebracht und auch 4 Cola- und Bierbüchsen.
Was für ein Empfang nach 8 Tagen! - davon die Hälfte ohne Essen und nur mit
Schmelzwasser zugebracht. Sitaram läuft voraus um im Basislager das Essen
vorzubereiten. Unterwegs finden wir nochmals ein "Getränkedepot" mit weiteren
4 Büchsen mitten auf dem Abstiegsweg zum Basislager. Als am späten Nachmittag
auch Denis und Simone unfallfrei daherkommen ist die Freude perfekt und für
uns ein unglaubliches Abenteuer - das wirklich keiner wiederholen möchte - zu Ende.
7
Auch dieses Mal möchten wir uns wieder bei unseren Sponsoren bedanken. Ohne sie
wären unsere Unternehmunge nicht möglich und die Freiheit zu den höchsten Bergen
der Welt aufzubrechen sehr eingeschränkt:
Danke an unsere Sponsoren - Gerlinde und Ralf
Ralf möchte sich bedanken bei Schöffel, GoreTex Footwear, LOWA, IBM Schweiz, Krimmer Outdoor System
und bei der Sparkasse Bühl.
Gerlinde bedankt sich bei LOWA, Schöffel, GoreTex Footwear, Viessmann, Komperdell,
der Tassilo Therme in Bad Hall und Petzl-Charlet Moser.