Nach unserem ersten, leider am Wetter gescheiterten Versuch über die anspruchsvolle Cesen-Route den K2 zu besteigen, waren die letzten Tage reichlich zäh. Schlechtes Wetter, zum Teil mit kräftigen Niederschlägen, hielten uns im Basislager und die (Zelt-)Decke drohte uns auf den Kopf zu fallen. Vor drei Tagen nun kündigte uns unser Wetter-Prophet Dr. Karl Gabl aus Innsbruck stabilere Verhältnisse an. Und vorgestern abend dann sogar einen Tag - der morgige Samstag - mit relativ niedrigen Windgeschwindigkeiten im Gipfelbereich des K2.
Ausführliche Beratungen innerhalb des Basislagers und alle möglichen Ideen, wie man diesen Samstag in der Gipfelregion noch erreichen könnte, zogen die Wetterprognosen nach sich. Und bald stand der Plan fest: eine Nonstop-Besteigung wäre die einzige Möglichkeit noch rechtzeitig Freitag-Nacht erneut zur Schulter des K2 in 7800 m Höhe zu kommen und damit zum Ausgangspunkt für die eigentliche Gipfelbesteigung. Einziger Knackpunkt: 3600 Meter Höhendifferenz vom Basislager zum Gipfel auf einen Schlag. Hört sich utopisch an, vor allem in dieser Höhe und nachdem es die letzte Tage doch zum Teil ergiebig geschneit hatte. Alleine zu dritt wäre das wahrscheinlich eine kaum zu bewältigend Aufgabe - die zu erwartende Spurerei im tiefen Neuschnee zu anstrengend.
Von Gerlinde's und David's Idee hörten auch zwei Slowaken und ein Pole, die eigentlich in der Westwand des K2 eine neue Route versuchen wollten - aber sich mit den ganz vereinzelten Gutwetter-Tagen dieses Spät-Karakorum-Sommers keine Chancen mehr für eine Durchsteigung ausrechnen. Ein erweitertes Team ist schnell gebildet, hinzu kommt auch noch der Italo-Amerikaner Fabrizio Zangrili, der seit Wochen nebenan mit einer amerikanischen Expedition lagert.
In die Rucksäcke kommen nur Daunenanzug, eine Matte für die Pausen, Kocher und 1 Gaskartusche pro Mann/Frau, Ersatzhandschuhe und -socken und ein paar Riegel. Es konnte losgehen - heute Nacht um 2:00 Uhr war es soweit.
Wie sich die Besteigung bisher entwickelt hat und weiterhin entwickeln wird können Sie bis morgen nachmittag hier an Hand der Funkgespräche mit Gerlinde, David und Daniel nachvollziehen und mitverfolgen. Drücken wir den Dreien - oder besser den Sieben - die Daumen, daß die Kräfte reichen und trotzdem keiner vor einer eventuell doch notwendigen Umkehr zurückschreckt. Es ist ein unglaublich langer Weg am zweithöchsten und schwierigsten Berg der Erde.
Einen herzlichen Gruß aus dem K2 Basislager,
Ralf Dujmovits
10. August 2007 - K2 / Cesen-Route
00:50 Yakoob, unser lustiger Küchenhelfer, bringt Grüntee mit Zitrone ans Zelt. Draußen ist es sternenklar, trotzdem hatten wir bisher eine relativ warme Nacht. Anziehen und ins Messzelt.
01:00 Uhr Fabrizzio Zangrillie kommt zum Frühstück herüber. Seit Tagen haben wir guten Kontakt zu ihm, - er möchte sich Gerlinde, David und Daniel anschließen. Fabrizzio kenne ich vom Klettern in Queen Maud Land, - ein wirklich fitter und flotter Amerikaner. Zu viert sind sie sicher beim vielen Spuren noch besser unterwegs.
Das Frühstück läuft fast entspannt - ein wenig Nervosität ist trotzdem zu spüren.
Fabrizzio-Gerlinde-Daniel-David beim Früstück im Messzelt
Fabrizzio and Gerlinde während des Frühstücks
Peter-Fabrizzio-Dodo-Piotr-Gerlinde und unten David beim Start in der Nacht vom Basislager
02:00 Uhr Die beiden Slowaken Dodo Kobold und Peter Hamor sowie der Pole Piotr kommen verabredungsgemäß zum Abmarsch. Damit ist unser Direkt-Durchstieg-Team zu siebt und bei dem vielen Neuschnee sicher weniger angestrengt. Herzliche Verabschiedung - fort sind sie in der Dunkelheit. Bin reichlich (an-)gespannt - zum ersten Mal muss ich eine Gipfelbesteigung von unten aus dem Basislager verfolgen. Kann kaum schlafen.
05:30 Uhr David meldet sich aus der kleinen Scharte (6050 m) unter Lager I . Die Verhältnisse seien prima; allen geht es gut. Super, freue mich!! Im unteren Teil sind die Fixseile so tief eingeschneit, dass es keinen Sinn gemacht hat sie heraus zu reißen.
08:00 Uhr Aus Lager II (6460 m) kommt der nächste Funkspruch: Gerlinde meldet sich. Sie seien nicht sehr müde, die Beine nicht schwer, - der leichte Rucksack macht sich deutlich bemerkbar. Sie wollen zwei Stunden Pause machen zum Schneeschmelzen und ausgiebig trinken.
09:10 Uhr Ein Schwalbenschwanz flattert durch's Messzelt - wie der hier hoch kommt? Wenn das kein gutes Zeichen ist für dauerhaft gutes Wetter
10:00 Uhr Gerlinde verkündet das Ende der ersten Pause. Sie haben jede Menge Schnee geschmolzen und viel trinken können. Geschlafen haben sie mit Absicht nicht - das sei erst in Lager III geplant. Dafür jede Menge getrunken. Konnte die letzten Wetterinfos von Karl Gabl durchgeben. Während der Pause war es völlig windstill im Lager.
10:30 Uhr Mit dem Fernglas meine ich erkennen zu können, dass ordentlich gespurt werden muss. Trotzdem kommen die sieben gut voran.
14:40 Uhr Endlich melden sich die drei aus Lager III. Erst spreche ich kurz mit David, dann kurz darauf mit Gerlinde. Bei leichtem Wind merken sie inzwischen doch ein wenig, dass sie schon über 2000 Höhenmeter in der dünnen Luft hinter sich haben. Das Spuren war reichlich anstrengend, da streckenweise der Schnee sehr tief ist. Jetzt wollen sie fleißig Schnee schmelzen und trinken, und dann ein paar Stunden dösen oder schlafen. Das Schlafdefizit macht sich in Ansätzen bemerkbar. Trotzdem sind alle sehr optimistisch und hoffen am späten Abend die Schulter auf 7800 m erreichen zu können. Drücken wir ihnen die Daumen!!
15:15 Uhr David meldet sich kurz – sie sind bereits beim Schneeschmelzen; möchten aber gerne wissen ob es ringsherum bewölkt ist. „Nein“ kann ich Ihnen versichern „ es ist die einzige Wolke im Baltoro-Gebiet, die sich ausgerechnet im Bereich von Lager III der Cesen-Route festgesetzt hat“.
17:40 Uhr Gerlinde meldet sich: drei Stunden haben sie gerastet in Lager III, Schnee geschmolzen und ein wenig gegessen. Sie fühlen sich erholt und möchten in den nächsten Minuten weiterklettern. "Im Zelt ist dieses Gefühl relativ" meinte sie, " beim Weiterklettern werden wir merken, wie gut wir uns erholen konnten. Wirklich geschlafen haben wir nicht". Und etwas kalte Füsse hat sie - die jetzt dann beim Weitersteigen hoffentlich wieder wärmer werden.
Mit dem vielen Neuschnee werden sie sicher 6 - 7 Stunden zur Schulter brauchen. Alle sind guter Dinge. Bis später!!
20:15 Uhr David hat vorausgespurt und meldet sich am Funk während er auf Gerlinde wartet, die das Spuren übernehmen wird: "Der Schnee ist nur an wenigen Stellen tief - teilweise ist noch unsere alte Spur von vor eingen Tagen anzutreffen. Mir geht es gerade richtig gut" meint er. Sie kommen gut voran.
Auf meine Frage, wer die etwas tiefer zu sehenden Lichter seien, meint er, dass die Slowaken noch ein Zelt in Lager III abgebaut hätten und dadurch etwas verzögert weg gekommen seien. Jetzt hoffe ich, dass die Verhältnisse weiterhin so gut bleiben und dass die
Sieben nicht zu spät die Schulter erreichen werden. Oben wollen sie zwei bis drei Stunden schlafen - soweit das auf fast 8000 m geht - und wenn alles passt dann weiter in Richtung Gipfel starten.
Das Wetter sieht perfekt aus für morgen - kein Wölkchen am Himmel; wenn ich das bei der Dunkelheit richtig erkenne.
23:45 Uhr Gehe aus dem Zelt um zum wiederholten Mal zu sehen, wie weit die kleine Lichterkette inzwischen gekommen ist. Eigentlich müssten sie es bald geschaftt haben – der Abstand zum höchsten Punkt der Schulter wird geringer
11. August 2007 - K2
02:00 Uhr Immer noch ist kein Funkspruch eingetroffen. Gehe wieder vor’s Zelt und sehe nun die Lichter der Stirnlampen am höchsten Punkt der Schulter. Es muss unendlich anstrengend gewesen sein, wenn sie so lange gebraucht haben. Hoffentlich sind sie bald am Lagerplatz um ausrasten zu können.
02:15 Uhr Gerfried Göschl von der österreichischen Gruppe meldet sich; er war mit seinen Mannen – darunter auch der Schweizer Bergführer-Kollege Kilian Volken – am 09. August zum Lager II des Abruzzen-Grats aufgestiegen und gestern bis Lager III am Abruzzen-Grat. Der Plan war eigentlich in der Nacht zur Schulter zu steigen, um dort Gerlinde und die anderen im Aufstieg zum Gipfel zu treffen. „Wir drehen um“ sagt Gerfried angestrengt „ sind nur noch zu zweit, die anderen haben schon umgekehrt. Und zu zweit schaffen wir die Spurarbeit nicht mehr.“ Auf 7600 m ist ihr Umkehrpunkt gekommen – sie haben sich wacker geschlagen. Enttäuschung tönt aus seiner Stimme. Aber sie werden gesund wieder ins Lager III kommen und heute im Laufe des Tages ins Basislager absteigen können. So wertvoll.
02:30 Uhr Endlich, endlich höre ich Gerlinde’s Stimme: zwar müde aber immerhin. Sie und David sind schon im Minizelt, daß in Lager IV auf 7700 m deponiert war. Nur ganz miserabel aufgebaut mit völlig schrägem Untergrund haben Sie es. „Bei dem starken Wind auf der Schulter nicht anders zu machen“ meint sie müde. David und Daniel waren zu erst am Lagerplatz angekommen. Nicht ganz dort, wo wir das letzte Mal waren; etwas tiefer in einer Scharte, wo ziemlich der Wind pfeift. Daniel und Fabrizio versuchen ein weiteres Zelt aufzustellen. „Es geht mir nicht ganz so gut“ sagt Gerlinde „bin während des Aufstiegs mehrfach eingeschlafen. Wollen jetzt versuchen ein wenig zu schlafen.“ So weit das ohne Schlafsack auf fast 8000 m auf einer halben, dünnen Isomatte geht.
05:45 Uhr Gerlinde meldet sich etwas frischer als um 2:30 Uhr. Ca. 1 Stunde nur hätte sie geschlafen. Das Zelt war einfach zu eng und zu schlecht aufgebaut. Fabrizio und Daniel haben draussen im Freien biwakiert, da sie ihr Zelt wegen des starken Windes nicht aufbauen konnten. David sei schon losgegangen um sich etwas weiter oben in den ersten Sonnenstrahlen aufwärmen zu können. „Möchte gleich nachfolgen, muss mir aber erst noch die kalten Fußzehen massieren“. Seit ihrer Gasherbrum II Besteigung hat Gerlinde immer wieder Probleme mit den damals ziemlich heftig angefrorenen Zehen. Sage Gerlinde noch, dass ich sie mit und ohne K2-Gipfel liebe, „Bitte, bitte rechtzeitig umkehren“.
05:50 Uhr David meldet sich aus den ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Er wird noch eine Weile auf Gerlinde warten und dann langsam weitersteigen in Richtung Flaschenhals. David bestätigt die Freinacht von Daniel und Fabrizzio; die beiden werden absteigen. Auf der Schulter wo David ist hat es kaum Wind, der Schnee ist gut zu spuren, nicht zu tief. Wünsche ihm und Gerlinde alles Gute, nur kein Blödsinn machen. Dodo Kobold, Piotr Morawski und Peter Hamor wollen in einer halben Stunde nachkommen.
8:00 Uhr Mit dem Fernglas kann ich erkennen, dass entweder Fabrizio oder
Daniel schon bei Lager III angekommen ist. Der andere ist ca. 2 Seillängen
oberhalb noch beim Abseilen.
8:05 Uhr David und Gerlinde melden sich von ca. 100 m oberhalb unseres
Biwakplatzes vom ersten Versuch. Zu zweit kommen sie nur langsam voran, die
Müdigkeit und die vergangenen 3000 Höhenmeter machen sich bemerkbar und das
Tempo ist nurmehr sehr gering. Dodo, Piotr und Peter sind ein ganzes Stück
hintendran und können bei der Spurarbeit nicht helfen. Gerlinde und David
haben sich bereits ausgerechnet, dass es beim derzeitigen Tempo
wahrscheinlich kaum möglich sein wird vor der vorgesehenen Umkehrzeit von
15:00 Uhr am Gipfel zu sein. Ich höre Zweifel aus ihren Stimmen, äußere
auch meine Bedenken, dass es bei ihrem aktuellen Zustand doch ein sehr
kritisches Unterfangen würde über den extrem steilen Flaschenhals hinaus
weiter Richtung Gipfel zu klettern. Zunächst möchten sie noch weitersteigen,
der Wind hat sich fast gelegt. Ich bin mir sicher, sie werden vernünftig
sein und rechtzeitig umkehren.
8:30 Uhr Der zweite Abseilende ist ebenfalls in Lager III angekommen. Freue
mich; jeder Meter tiefer bedeutet gewonnene Sicherheit.
9:00 Uhr Gerlinde meldet sich aus dem Bereich unterhalb des Flaschenhalses,
wo es sich anfängt aufzusteilen. Die letzte Stunde sind sie und David gut
vorangekommen, besser als erwartet. Ihre Fußzehen sind zwar immer noch nicht
ganz warm geworden, aber besser als in der Nacht. Leider sind die drei
Slowaken / Pole sicher eine Stunde hintendran und damit bleibt die
Spurarbeit bei ihnen beiden. Sie sind am überlegen die drei abzuwarten,
damit sie evtl. beim Spuren helfen können.
Im Süden hinter der Chogolisa sehe ich die ersten Cirren aufziehen,
dahinter kündigt sich bereits eine hohe Schichtbewölkung an. Irgendwer von
den Russen an der Westwand hat gemeint bzw. im Internet vermerkt, am Sonntag
(also morgen) würde ein Sturm reinkommen. Gerlinde und David wissen
Bescheid.
10:15 Uhr Erst meldet sich David, dann kann ich mit Gerlinde reden: Es ist vorbei. Für dieses Jahr zumindest. Ich bin erleichtert – wenn ich das so spontan sagen darf. Es war sehr spät geworden, Gerlinde und David waren mit den anstrengenden Schneeverhältnissen und nach über 3000 Höhenmetern alleine. Zudem sagte Gerlinde’s Bauchgefühl, dass der steiler werdende Bereich unterhalb des Flaschenhalses ziemlich eingeblasen sei – „Schneebrettgefahr“ meinte sie. Dodo, Piotr und Peter waren nach einer Stunde Warten immer noch nicht aufgeschlossen. Allesamt sind sie müde, alles zusammen gibt den Ausschlag für die Umkehr.
!!Gut entschieden!! – mein Inneres jubelt, selbst wenn ich Gerlinde, David und Daniel – und natürlich auch den anderen – den Gipfel von Herzen gegönnt hätte.
Es waren einige meiner angespanntesten Stunden. Im Kopf fast zerrissen, zwischen dem Mitfiebern des leidenschaftlichen Höhenbergsteigers zum Gipfel hin und den Sorgen vor dem Wissen um einen anstrengenden Abstieg nach fast übermenschlicher Anstrengung der letzten 35 Stunden. Jetzt sind sie alle auf dem Abstieg – „bleibt konzentriert“.
Alle zurück im Basislager!
17:30 Uhr Überglücklich sind wir wieder alle zusammen: Daniel war schon um
14:30 Uhr zurück; Gerlinde und David - kurz zuvor auch Fabrizio - sind gerade im
Basecamp eingetroffen.
Morgen - Sonntag - heißt es zusammenpacken, am Abend werden die Träger
kommen, Montag morgen startet der Rückmarsch. Ob wir über den Gondokoro La
oder den Baltoro-Gletscher rauslaufen werden die Wetterverhältnisse
entscheiden. Auf jeden Fall solten wir am Mittwoch abend in Skardu zurück
sein.